Schon als Kind träumte der heute 73-jährige Harry Bethge aus Sindelfingen vom „Auto des Wirtschaftswunders“, einem Mercedes 170 S. Fündig wurde er dann ausgerechnet am anderen Ende der Welt – in Bangkok.

Sindelfingen - Als Harry Bethge noch ein Kind war, damals in den 1950er Jahren, beneidete er den Nachbarsjungen. Denn dessen Vater kam in der Mittagspause jeden Tag mit einem Mercedes des Typs 170 S nach Hause. Der Wagen mit dem charakteristischen Kühlergrill, den runden Scheinwerfern und dem stolz aufragenden Stern gilt heute als „Auto des Wirtschaftswunders“. „Erst später habe ich verstanden, dass der Vater des Nachbarjungen Chauffeur war und ihm das Auto gar nicht gehörte“, erzählt der heute 73-jährige Bethge; doch die Liebe des Sindelfinger Jungen zum Modell blieb.

Mit 14 Jahren fing Harry Bethge dann selber an, als Lehrling im Sindelfinger Mercedes-Werk zu arbeiten – zunächst als Feinblechner. Er stieg auf, war im Bereich Rohbau und Einkauf beschäftigt, bis er zur Fahrzeugproduktion im Ausland wechselte. „Ich war in verschiedenen Werken in Thailand, Malaysia, in Singapur und auf den Philippinen dafür verantwortlich, dass die Produktion deutschen Qualitätsstandards entsprach“, erzählt Bethge.

In Bangkok fiel ihm ein heruntergekommenes Taxi auf

Mitte der 1980er Jahre fiel ihm dann in der thailändischen Hauptstadt Bangkok ein heruntergekommenes Taxi auf. Vom Originalzustand war es weit entfernt: Außen weiß lackiert, die Sitze mit braunem Kunstleder überzogen – doch Harry Bethge hatte keinen Zweifel: Es war ein Mercedes 170 S! Über einen thailändischen Freund ließ er den Fahrer suchen und einen Tausch einfädeln: Der Taxifahrer erhält einen moderneren Wagen, Bethge den Oldtimer. Mit dem Schiff gelangte der Wagen nach Bremerhaven, im Lastwagen wurde er dann nach Sindelfingen transportiert – dorthin, wo es 1950 hergestellt worden war.

Die Oldtimer-Branche in Deutschland boomt: Zurzeit sind etwa 350 000 historische Fahrzeuge unterwegs, die vor mehr als 30 Jahren zugelassen worden waren. Ihre Zahl steigt jährlich um etwa zehn Prozent – und bei der Beliebtheit liegt Mercedes in Deutschland unangefochten an der Spitze. Bei Oldtimer-Treffen hat Harry Bethge beobachtet, dass das Restaurieren alter Fahrzeuge in erster Linie eine Leidenschaft älterer Herren sei – „aber es sind auch einige Frauen dabei“, erzählt er.

Unter früheren Mercedes-Mitarbeitern seien Oldtimerfreunde natürlich besonders häufig vertreten – „schließlich sind wir mit diesen Autos alt geworden!“ Bis Bethges eigener Mercedes wieder im alten Glanz erstrahlte, vergingen nach der abenteuerlichen Rückführung allerdings noch Jahre. Erst 2001, als Bethge sich im Ruhestand intensiver um seinen Oldtimer kümmern konnte, war der Wagen wieder fahrtüchtig.

Hochzeit standesgemäß im blumengeschmückten Oldtimer

„Ich hatte einem befreundeten Paar versprochen, sie bei ihrer Hochzeit im restaurierten Oldtimer zu kutschieren“, erzählt Harry Bethge. „Doch eine Woche vor der Hochzeit ging der Zylinderkopf im Motor kaputt.“ Bethge überzeugte einen Automechaniker, seinen Urlaub zu verschieben, um das Gefährt wieder flott zu bekommen – die Hochzeit fand dann tatsächlich standesgemäß mit dem blumengeschmückten Oldtimer statt.

Bethge hat viel Zeit und Energie investiert, um den Originalzustand seines Autos wiederherzustellen: Der Lack glänzt heute wieder in einem tiefen Schwarz, die Sitze sind mit hellem Leder überzogen. Trotzdem zählt sich Bethge nicht zu denen, die „ihr Auto auf einen Perserteppich stellen“, wie Bethge sagt – sein Oldtimer steht in einer stinknormalen Garage. Wenn Leute ihm vorschwärmen, dass die Autos früher alle viel schöner waren, entgegnet er: „Viele würden heute gar kein altes Auto mehr fahren wollen – weil sie es nicht können.“

Und tatsächlich erfordert eine Fahrt in dem Oldtimer einiges an Umstellung. Die Handbremse ähnelt einer metallenen Klinke und findet sich unter dem Lenkrad; die Fenster muss man selbstverständlich mit der Hand herunterkurbeln. „Es gibt keine Servolenkung und keine Bremskraftverstärkung“, ergänzt Bethge. „Deshalb muss man zum Bremsen ganz schön in die Eisen treten.“ Die maximale Fahrgeschwindigkeit liegt bei 110 Kilometern in der Stunde. Wenn Bethge zusammen mit seiner Frau zu Oldtimer-Treffen fährt – er ganz stilecht im karierten Anzug, sie im dunkelblauen Kostüm – versucht er deshalb, Autobahnen möglichst zu vermeiden.

Für mitfahrende Raucher auf dem Rücksitz bietet der Wagen einen heute unbekannten Komfort: kleine Aschenbecher, die in den Türen eingelassen sind. Gurte hat der Mercedes allerdings keine – „die könnte man im Nachhinein auch gar nicht einbauen“, erklärt Bethge. Dafür hängen hinten dicke Kordeln mit einer Quaste – daran konnten sich Mitfahrer in scharfen Kurven festhalten, um nicht über die Rückbank zu rutschen.